Rot ist das neue Schwarz

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Der Schwarzweißfilm hat über die Jahre viele Veränderungen erfahren. Eine der wichtigsten war, ihn weniger farbenblind zu machen.

Colors
Colors by Chris Marquardt

Ja, weniger farbenblind. Verschiedene Farben sind oft auch verschieden hell. Mit etwas Übung kann man sich ganz gut vorstellen, wie eine Szene in Schwarzweiß aussehen würde. Einfach, indem man die gefühlten Helligkeiten der Farben in Grautöne übersetzt. Und so ähnlich verhalten sich moderne Schwarzweißfilme auch. Sie versuchen, ein Schwarzweißbild zu erzeugen, das die gefühlten Helligkeiten der Szene umsetzt und das gelingt ihnen zumindest teilweise.

Das war aber nicht immer so. Die Übersetzung von Farben in Grautöne hat ihre ganz eigene Geschichte.

Werfen wir einen Blick auf das Spektrum des sichtbaren Lichts: unser Auge sieht vom tiefem Rot, über Orange, Gelb, Grün, Blau bis zum tiefen Violett. Infrarotes und Ultraviolettes Licht können wir mit unseren Augen nicht mehr sehen, für diese Bereiche des Spektrums fehlen in unserem Wahrnehmungsapparat ganz einfach die Sinneszellen.

Wenn wir nun einen alten Schwarzweißfilm genauer betrachten, dann sieht dieser nicht diesen kompletten sichtbaren Bereich. Er begnügt sich mit einem schmalen Band des sichtbaren Spektrums, das besonders in den Blautönen dominiert. Der Film ist auf der roten Seite des Spektrums schlicht farbenblind. Rote Gegenstände werden schwarz abgebildet, so als würden sie kein Licht reflektieren. Sommersprossen erscheinen auf solchen Fotos besonders dunkel. Und rote Lippen sehen aus, als ob sie direkt aus einem Film Noir entsprungen sind.

Wir nennen bezeichnen diese Filme als orthochromatische Filme.

Erst nach den ca. 1950er-Jahren wurde dem Film dann mittels Hinzufügen von Farbstoffen mehr Empfindlichkeit bei den röteren Wellenlängen beigebracht. Filme, die das komplett sichtbare Spektrum abbilden, nennt man dann übrigens Panchromatisch. Es gibt dann noch weitere Spezialfälle, zum Beispiel die Superpanchromatischen Filme und die, die Infrarotlicht sehen.

Hier ein übrigens das Bild der Szene von oben, diesmal aber mit einer Digitalkamera abgelichtet:

rotrot

Deutlich sieht man, dass der Film die roten Kugeln als schwarz abbildet. Besonders interessant ist aber auch, dass blau und gelb, die im Farbbild deutlich unterschiedlich hell erscheinen, auf dem orthochromatischen Film fast identisch in der Helligkeit sind. Der Film ist auf der blauen Seite des Spektrums eben deutlich empfindlicher als auf der roten.

Wenn wir jetzt einen modernen Schwarzweißfilm heranziehen, dann ist diese Charakteristik deutlich weniger ausgeprägt, aber auch hier sieht man oft eine höhere Empfindlichkeit im blauen Bereich.

Hier ein Beispiel von unserem letzten Analogworkshop in Berlin Adlershof. Das Bild zeigt, wie ein moderner Schwarzweißfilm die Farben in Grautöne umsetzt:

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Folge Chris Marquardt:
Chris Marquardt ist Fotograf, als Autor schreibt er Fotobücher, und als Produzent hat er die Finger in mindestens sechs bis acht unterschiedlichen Podcast-Produktionen. Seit 2006 unterrichtet er internationale Fotoworkshops und veranstaltet Fotoreisen ans Ende der Welt. Chris ist regelmäßiger Gast im US-Radio, um dort fotografische Fragen zu erörtern. Gemeinsam mit Monika Andrae hat er das Buch Absolut analog verfasst und arbeitet an weiteren Buchprojekten. Mehr...
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