Von der Elastizität des Films

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Es ist immer wieder erstaunlich, was Film so kann. Das wird besonders deutlich, wenn man sich mal von den eingetretenen Pfaden der Belichtung und Entwicklung nach Lehrbuch entfernt, die Beipackzettel ignoriert und das tut, was das Fotografenherz höher schlagen lässt: den Film mal etwas mehr zu strapazieren.

Ich hatte es kurz in diesem Beitrag angerissen: der Pull ist, was die Verteilung der Tonwerte angeht, fast so etwas wie eine Wunderwaffe. Beim Pull geben wir dem Film mehr Licht, als er laut Packungsaufdruck bekommen soll. Um das zu kompensieren, passen wir die Parameter der Entwicklung an.

Im Beispiel oben hatten wir den Belichtungsmesser der Kamera auf ISO 50 stehen, obwohl der T-Max gerne ISO 400 gehabt hätte. Das entspricht 3 Blendenstufen mehr Licht, bzw. der achtfachen Menge. Zum Ausgleich wurde dann in D76 1+1 7 Minuten und 20 Sekunden lang entwickelt.

Das Resultat zeigt eigentlich schon alles. Regulärer Film hätte bei regulärer Lehrbuchentwicklung hier vermutlich versagt, wäre in den dunklen Belichtungen ins Schwarz gedriftet und würde in den hellen Belichtungen ausgerissene Lichter zeigen. Der Pull kann mehr.

Sechs Blendenstufen sind in diesem Filmstreifen belichtet. In Zeiten, in denen Digitalkameras behaupten, 12 oder mehr Blenden Kontrastumfang abbilden zu können (Tipp: die Praxis sieht anders aus) ist das an sich erst mal nicht wirklich spektakulär. Wenn man sich dann allerdings bewusst macht, dass sich innerhalb dieser Szene selbst ein Blendenumfang von vermutlich mindestens weiteren 12 Stufen befindet, dann sieht die Sache schon ganz anders aus. 12 Stufen Umfang, das sind von der Mitte aus nach oben und nach unten jeweils sechs. Mit den bereits etablierten sechs Belichtungsstufen macht das dann insgesamt zwölf.

Im Detail betrachtet sieht man auf dem Negativ übrigens, dass selbst in den Extremen noch reichlich Information vorhanden ist. In der dunkelsten Belichtung sind die Schatten noch gut durchzeichnet und in der hellsten Belichtung reißen die Lichter noch lange nicht aus. Es ist also noch gut Spiel nach oben und nach unten.

Und das mit einer einzigen Entwicklung: dem Pull.

Folge Chris Marquardt:
Chris Marquardt ist Fotograf, als Autor schreibt er Fotobücher, und als Produzent hat er die Finger in mindestens sechs bis acht unterschiedlichen Podcast-Produktionen. Seit 2006 unterrichtet er internationale Fotoworkshops und veranstaltet Fotoreisen ans Ende der Welt. Chris ist regelmäßiger Gast im US-Radio, um dort fotografische Fragen zu erörtern. Gemeinsam mit Monika Andrae hat er das Buch Absolut analog verfasst und arbeitet an weiteren Buchprojekten. Mehr...
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